Fiebersaft-Engpass: „Im Notfall stellen wir eben selbst her“ (2024)

Fiebersäfte mit Paracetamol und Ibuprofen sind schon seit einiger Zeit Mangelware in Apotheken.

Schuld sind Lieferengpässe. Diese haben verschiedene Gründe (siehe Interview unten).

Nicht immer muss ein fiebersenkendes Medikament sein. „Wenn es dem Kind so weit gut geht, ist das kein Muss“, sagt der Berliner Kinderarzt Jakob Maske, der Pressesprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) ist. Denn Fieber ist prinzipiell erst mal nicht schlimm, sondern eine normale Abwehrreaktion des Körpers auf eine Infektion.

Wenn sich der Allgemeinzustand des Kindes verschlechtert, schaffen fiebersenkende Mittel mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen aber Linderung.

Ist der Fiebersaft mit dem gewünschten Wirkstoff nicht zu bekommen, kann man Glück haben und das Produkt mit dem anderen Wirkstoff ist verfügbar. Aber diese Strategie geht oft nicht auf.

„Dann kann es sinnvoll sein, auf eine andere Darreichungsform umzusteigen – Zäpfchen oder Tabletten“, sagt Jakob Maske. Wie beim Fiebersaft gilt auch hier: Es sollte keinesfalls mehr Wirkstoff ins Kind gelangen, als ausgehend von dessen Körpergewicht empfohlen wird. „Eine Überdosierung schadet der Leber – und das ist viel schlimmer als das Fieber des Kindes“, warnt Maske.

Doch was, wenn der Säugling ein Zäpfchen mit 75 Milligramm Paracetamol braucht – und Eltern vielleicht vom großen Geschwisterchen noch Zäpfchen mit 125 Milligramm in der Hausapotheke haben? Das Zäpfchen sollte man nicht durchschneiden, da nicht immer der Wirkstoff gleichmäßig im Zäpfchen verteilt sein könnte, sagt Maske.

Zu teilbaren Tabletten können Eltern allerdings sehr wohl greifen, wenn die Hälfte der Tablette der Dosis entspricht, die das fiebernde Kind braucht.

Zäpfchen sind bei den allermeisten Kindern sehr unbeliebt. Auch bei Tabletten ist der Protest manchmal groß. Kinderarzt Jakob Maske kennt aber Tricks: Tabletten lassen sich auch als Ganzes auf einem Löffel mit etwas Joghurt oder Flüssigkeit verabreichen oder gebröselt in die Joghurtschüssel oder das Trinkglas geben. Auf eines sollten Eltern dabei aber achten: „Das Kind sollte alles austrinken oder aufessen, damit es auch die gesamte Menge Medikament aufnimmt“, sagt Maske.

Apotheken lassen sich einiges einfallen, um ihre Kunden dennoch mit den benötigten Medikamenten zu versorgen – manchmal können sie sie sogar selbst herstellen. Ein Gespräch mit Juliane Stark-Kreul, Inhaberin einer Apotheke in Marl. (Anm. der Red.: Das Interview ist erstmals am 14.07.2022 bei uns erschienen)

Frau Stark-Kreul, es gibt derzeit offenbar Versorgungsprobleme mit dem Wirkstoff Ibuprofen. Welche Darreichungsformen sind denn besonders betroffen?

Derzeit betroffen sind vor allem Säfte wie Fiebersäfte mit Ibuprofen. Es wird aber auch schon bei einigen Fieberzäpfchen eng, gerade bei den niedrigdosierten, in der Dosierung 75 mg und 125 mg.

Welche Patienten trifft das denn?

Ibuprofen in flüssiger Form ist vor allem für Kinder gedacht. Deswegen sind sie in erster Linie betroffen. Hinzu kommen Menschen mit Schluckbeschwerden, die Ibuprofen nicht in fester Darreichungsform einnehmen können.

Was sind denn die Gründe für den Engpass?

Es gibt mehrere. Einerseits haben wir aktuell eine Grippe- und Erkältungswelle und natürlich auch die Corona-Welle. Ein anderer Grund ist der Ukrainekrieg. Deutschland hat Ibuprofen-Säfte ins Krisengebiet geschickt. Zu guter Letzt gibt es noch eine grundlegende Ursache: Hersteller haben sich von der Produktion her aus Deutschland zurückgezogen. Viele Wirkstoffe werden in China produziert und in Indien weiterproduziert. Läuft dann dort etwas schief wie Verunreinigung der Produktion oder ein Fabrikbrand, steht die ganze Produktion still. Und dann kommt hier in Europa einfach nichts mehr an. Wir sind also mittlerweile zu abhängig von Lieferungen aus dem Ausland.

Handelt es sich um ein deutschlandweites Problem? Oder gibt es Regionen, die besonders betroffen sind?

Die Engpässe herrschen deutschlandweit.

Wie gehen Sie mit den Lieferengpässen um und wie können Sie als Apotheke vor Ort helfen?

Wir rufen direkt bei den Firmen an und fragen nach den Wirkstoffen. Zunächst hatten wir auch Vorräte angelegt. Aber mittlerweile ist davon vieles bei uns ausverkauft. Daher sind wir dann dazu übergangen, andere Darreichungsformen wie Zäpfchen oder Schmelztabletten, die sich im Mund auflösen, zu empfehlen. Auch gehen wir immer wieder verschiedene Großhändler durch und schauen, was lieferbar ist.

Weichen Sie auch auf andere Wirkstoffe aus?

Das machen wir auch. Das ist aber teilweise nicht ganz einfach. Die Medikamente werden ja im Falle von Ibuprofen in flüssiger Form vom Kinderarzt verordnet. Wir müssen daher Rücksprache mit dem jeweiligen Arzt halten. Dafür brauchen wir auf jeden Fall Zeit. Und wenn der Kunde erst um 18 Uhr zu uns kommt, können wir den Arzt häufig nicht mehr erreichen. Etwas anderes ist es, wenn der Kunde ein Rezept vom Notarzt bekommen hat. Den Notarzt kann ich immer noch erreichen. Aber grundsätzlich ist das Wechseln des Wirkstoffs eine Möglichkeit. Wir haben ja auch durch den erwähnten Engpass von Paracetamol auf Ibuprofen gewechselt.

Sie könnten die Arzneien ja auch selbst herstellen.

Das stimmt. Zumindest solange der grundlegende Wirkstoff noch lieferbar ist. Aber auch das ist nicht ganz einfach. Das Herstellen benötigt nicht nur viel Zeit, in den Apotheken herrscht derzeit auch ein Personal-und Fachkräftemangel. Durch Corona sind wir Apotheken schon stark gebeutelt. Aber im Notfall stellen wir ein Medikament eben selbst her. Als Desinfektionsmitteln nicht lieferbar waren, haben wir Apotheken das auch so gehandhabt. Das können wir! Wir suchen nach Lösungen und finden auch eine. Gar keine Frage.

Wann rechnen Sie wieder mit funktionierenden Lieferketten?

Das wüsste ich selbst gerne. Wir haben gerade eine ganz dramatische Situation, die wir so noch nie hatten: dass Fiebersäfte und Zäpfchen gar nicht oder nur ganz schwer lieferbar sind. Wenn wir jetzt Ibuprofen ersetzen durch andere Wirkstoffe, drohen sehr wahrscheinlich bei diesen Wirkstoffen in naher Zukunft weitere Engpässe.

Haben Sie den einen oder anderen Tipp für die Apothekenkunden, was sie aufgrund der Engpässe beachten sollen?

Wir versuchen auf jeden Fall zu helfen und das möglich zu machen, was möglich ist. Aber wie schon gesagt braucht die Suche nach Alternativen Zeit. Kunden sollten daher Rezepte nicht zu lange zu Hause liegen lassen und frühzeitig zu uns kommen. Dann können wir hier in der Apotheke eine vernünftige Lösung finden.

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